Prinzipiell sei zwar ein vertraglicher Verzicht auf nachehelichen Unterhalt oder Zugewinnausgleich möglich. Bei offenkundiger Einseitigkeit der Vereinbarung (die sich auch erst im Verlauf der Ehe einstellen kann) komme aber eine Unwirksamkeit des Vertrags wegen Sittenwidrigkeit i.S.d. § 138 Abs.1 BGB oder eine nachträgliche gerichtliche Anpassung des Vertrags in Betracht. Für die Umsetzung seiner Vorgaben hat der BGH zugleich eine praktische Regel aufgestellt:
Je mehr ein Ehevertrag den Kernbereich der gesetzlich vorgesehenen Scheidungsfolgen abändert - das sind vor allem Unterhaltsansprüche für die Kindesbetreuung oder wegen Alter und Krankheit -, desto strenger ist die richterliche Kontrolle. Dagegen wird der Betroffene eine vertraglich vereinbarte Gütertrennung, also den Ausschluss des Zugewinnausgleichs, nur ausnahmsweise nachträglich kippen können.
Welcher Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde?
Die seit 2001 geschiedenen Parteien hatten 1985 geheiratet. Der 1948 geborene Ehemann ist Unternehmensberater; seine sieben Jahre jüngere Ehefrau hatte vor der Ehe ein Hochschulstudium abgeschlossen und war als Archäologin tätig gewesen. 1988, zwei Jahre nach Geburt ihres ersten und rund ein Jahr vor Geburt ihres zweiten Kindes, vereinbarten sie Gütertrennung, schlossen den Versorgungsausgleich aus und verzichteten wechselseitig auf nachehelichen Unterhalt mit Ausnahme des Unterhalts der Ehefrau wegen Kindesbetreuung. Der Ehemann verpflichtete sich im übrigen, durch laufende Prämienzahlungen für seine Ehefrau auf deren 60. Lebensjahr eine Kapitallebensversicherung mit einer erwarteten Ablaufleistung von rund 172.000 DM zu begründen.
Das Oberlandesgericht hat den Ehevertrag unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen als unwirksam angesehen und der Klage der Ehefrau auf nachehelichen Unterhalt und Auskunft im Rahmen des Zugewinnausgleichs teilweise stattgegeben. Der Senat hat dieses Urteil, soweit es mit der Revision angefochten ist, aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zwecks neuer Feststellungen zurückverwiesen.
Nach Auffassung des Senats steht es Ehegatten grundsätzlich frei, die gesetzlichen Regelungen über den Zugewinn, den Versorgungsausgleich und den nachehelichen Unterhalt ehevertraglich auszuschließen. Allerdings darf der Schutzzweck dieser Regelungen nicht beliebig unterlaufen werden. Die Grenze ist dort zu ziehen, wo die vereinbarte Lastenverteilung der individuellen Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse in keiner Weise mehr gerecht wird, weil sie evident einseitig ist und für den belasteten Ehegatten bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint. Das ist um so eher der Fall, je mehr der Ehevertrag in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.
Insoweit ist eine Abstufung vorzunehmen. Zum Kernbereich gehören in erster Linie der Unterhalt wegen Kindesbetreuung und in zweiter Linie der Alters- und Krankheitsunterhalt, denen der Vorrang vor den übrigen Unterhaltstatbeständen (z.B. Ausbildungs- und Aufstockungsunterhalt) zukommt. Der Versorgungsausgleich steht als vorweggenommener Altersunterhalt auf gleicher Stufe wie dieser selbst und ist daher nicht uneingeschränkt abdingbar. Der Ausschluß des Zugewinnausgleichs schließlich unterliegt - für sich allein genommen - angesichts der Wahlfreiheit des Güterstandes keiner Beschränkung.
Der Tatrichter hat daher in einem ersten Schritt gemäß § 138 Abs. 1 BGB eine Wirksamkeitskontrolle des Ehevertrages anhand einer auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses bezogenen Gesamtwürdigung der individuellen Verhältnisse der Ehegatten vorzunehmen, insbesondere also hinsichtlich ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse und ihres geplanten oder bereits verwirklichten Lebenszuschnitts. Das Verdikt der Sittenwidrigkeit wird dabei regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn durch den Vertrag Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts ganz oder jedenfalls zu erheblichen Teilen abbedungen werden, ohne daß dieser Nachteil durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten gerechtfertigt wird. Ergibt diese Prüfung, daß der Ehevertrag unwirksam ist, treten an dessen Stelle die gesetzlichen Regelungen.
Andernfalls ist in einem zweiten Schritt im Wege der Ausübungskontrolle (§ 242 BGB) zu prüfen, ob und inwieweit die Berufung auf den Ausschluß gesetzlicher Scheidungsfolgen angesichts der aktuellen Verhältnisse nunmehr mißbräuchlich erscheint und deshalb das Vertrauen des Begünstigten in den Fortbestand des Vertrages nicht mehr schutzwürdig ist. In einem solchen Fall hat der Richter die Rechtsfolge anzuordnen, die den berechtigten Belangen beider Parteien in ausgewogener Weise Rechnung trägt.
Der Senat hat die Annahme des Oberlandesgerichts, die von den Eheleuten getroffenen Abreden seien unwirksam, nicht gebilligt. Für einen Verstoß gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB, Wirksamkeitskontrolle) fehle es an tatsächlichen Feststellungen, insbesondere was die von den Ehegatten mit der Abrede verfolgten Zwecke, ihre Lebensplanung und ihre sonstigen Beweggründe betreffe. Eine vom Ehemann ausgenutzte Unterlegenheit der Ehefrau sei nicht erkennbar. Für die Zeit der Kinderbetreuung sei der gesetzliche Unterhaltsanspruch der Ehefrau schon nach dem erklärten Parteiwillen nicht ausgeschlossen; für die Zeit nach der Kinderbetreuung könne sich eine - wenn auch nicht notwendig auf den vollen eheangemessenen Unterhalt gerichtete - Unterhaltspflicht des Ehemannes im Wege der Ausübungskontrolle (§ 242 BGB) ergeben. Einer solchen Kontrolle unterliege zwar auch der vereinbarte Ausschluß des Zugewinnausgleichs; die vom Oberlandesgericht hierzu bislang getroffenen Feststellungen rechtfertigten jedoch nicht die Annahme, daß der Ehemann nach § 242 BGB gehindert werde, sich auf die von den Parteien vereinbarte Gütertrennung zu berufen.
Angesichts der zu erwartenden Zunahme von Rechtsstreitigkeiten um Eheverträge wird die Entwicklung der untergerichtlichen Rechtsprechung mit Spannung zu beoabachten sein.
BGH, Az. XII ZR 265/02