Dies hat nunmehr das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg entschieden. In dem zu Grunde liegenden Fall hatte ein neunjähriger Junge versucht, eine Straße zu überqueren. Dabei hatte er nicht auf den Verkehr geachtet. Ein Motorradfahrer musste sein Motorrad herumreißen und auf die Seite legen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Dabei wurden Motorrad und Kleidung beschädigt und der Fahrer verletzt. Dieser verklagte die Eltern sodann auf Schadenersatz, da sie nach seiner Ansicht ihre Aufsichtspflicht verletzt hätten.
Das OLG wies die Klage jedoch ab. Es sei keine Aufsichtspflichtverletzung der Eltern erkennbar. Die Aufsichtspflicht sei insbesondere nicht dadurch verletzt, dass die Eltern ihren Sohn allein ohne präsente Aufsicht im öffentlichen Straßenverkehr hätten Fahrrad fahren lassen. Üblicherweise würden Kinder jedenfalls zu Beginn der allgemeinen Schulpflicht mit sechs Jahren an die Teilnahme am Straßenverkehr herangeführt und gewöhnt. Es entspreche daher gesicherter Rechtsprechung, dass ein neunjähriges Kind, das ein Fahrrad hinreichend sicher fahren könne, über Verkehrsregeln eindringlich unterrichtet worden sei und sich gewisse Zeit im Verkehr bewährt habe, auch ohne Überwachung durch die Eltern mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen könne. Die Gesetzesänderung, nach der Kinder bis zehn Jahre nunmehr von einer Eigenhaftung ausgenommen seien, gebe keinen Anlass, von diesen Grundsätzen abzuweichen und eine verschärfte Aufsichtspflicht der Eltern anzunehmen. Der Gesetzgeber habe durch die Neuregelung lediglich dem typischen Fehlverhalten von Kindern der Altersgruppe unter zehn Jahren Rechnung tragen wollen. Es sei ihm dagegen nicht darum gegangen, die Haftung der Eltern zu verschärfen und damit letztlich nur die Haftungsrisiken innerhalb der Familie umzuschichten. Es sei auch weiterhin erforderlich, dass Kinder der genannten Altersgruppe nach den dargestellten Grundsätzen an eine eigenverantwortliche Teilnahme am Straßenverkehr herangeführt würden - entsprechend ihrer Entwicklung auch in Abwesenheit der Eltern. Hierin könne dann keine Aufsichtspflichtverletzung gesehen werden.
OLG Oldenburg, Az. 1 U 73/04