Urlaub verjährt nur, wenn der Arbeitnehmer vorher auf seinen Urlaubsanspruch hingewiesen wurde ( BAG, Urt. v. 20.12.2022, Az.: 9 AZR 266/20).
Das Bundesarbeitsgericht urteilte, dass Urlaub nur dann verjährt, wenn Unternehmen vorher ihre Beschäftigten darauf hingewiesen haben, dass ihnen Urlaub zusteht, der bei fehlender Inanspruchnahme verfällt. Fehlt es hieran, können auch noch Ansprüche aus früheren Jahren geltend gemacht werden. Auf die regelmäßige dreijährige Verjährung nach nationalem Recht (§§ 195, 199 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) dürfen sich Arbeitgeber in diesen Fällen nicht berufen.
Die Streitfrage, die das BAG zu beantworten hatte, war die "Haltbarkeit" von Urlaubansprüchen. Wäre die Frage allein nach nationalem Recht in Form des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) zu beurteilen, wäre die Lösung einfach gewesen: Urlaub, der im aktuellen Kalenderjahr nicht genommen wird, verfällt mit dem Ende des Kalenderjahres, spätestens aber zum 31.3. des Folgejahres (§ 7 Abs. 3 BUrlG). Noch bestehender Urlaub, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht beansprucht werden konnte, ist auszuzahlen (§ 7 Abs. 4 BUrlG).
Allerdings ist das deutsche Urlaubsrecht zwischenzeitlich maßgeblich durch das Europäische Recht geprägt. Dort ist das Recht auf bezahlten Jahresurlaub in Art. 31 Abs. 2 der Grundrechtecharta, geregelt. Weitere Regelungen finden sich zudem in Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie RL 2003/88/EG sowie den zahlreichen Entscheidungen zu dessen Auslegung durch den EuGH. Daher können urlaubsrechtliche Fragen nicht allein nach nationalem Recht, sondern nur im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben betrachtet werden.
Eine für den aktuellen Fall relevante Entscheidung hatte der EuGH bereits 2018 (Urt. v. 6.11.2018, Az.: C-684/16) getroffen und festgestellt, dass Urlaub nur verfallen könne, wenn Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber „durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde“, den Urlaubsanspruch auch wahrzunehmen. Das BAG setzte diese Entscheidung im Folgejahr (Urt. v. 19.2.2019, Az.: 9 AZR 423/16) um und schuf eine arbeitgeberseitige Hinweis- und Aufklärungspflicht als Obliegenheit eines Arbeitgebers. Nur, wenn der Arbeitgeber diese erfülle, könne Urlaub nach den Vorgaben des BUrlG verfallen, selbst die "dreijährige Verjährungsfrist beginne damit erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat", zu laufen!
Fazit: Es wird interessant sein, zu beobachten, ob diese weitreichende Entscheidung eine Klagewelle nach sich ziehen wird. Dies dürfte maßgeblich davon abhängen, wie das BAG die Anforderungen an die Geltendmachung "alter" Ansprüche formulieren wird und ob Urlaubsansprüche und Urlaubsabgeltungsansprüche "gleich" zu behandeln sind. In der Vergangenheit – allerdings noch vor den Vorgaben des EuGH im September 2022 – hatte das BAG zudem noch ausdrücklich betont, dass Abgeltungsansprüche Verjährungs- und Verfallfristen unterfallen (BAG v. 24.5.2022, Az.: 9 AZR 461/21). Arbeitgebern ist insoweit zu raten, dass mit der Hinweis-und Aufklärungspflicht sehr ernst zu nehmen, um nicht enormen finanziellen Ansprüchen der Arbeitnehmer ausgesetzt zu sein!